Die Politisierung in Folge der „68er“ wurde in Dinkelsbühl durch die Schülerzeitung des Gymnasiums deutlich. Zu Beginn des Jahres 1970, genauer am 12. Februar, fand eine Diskussion zwischen der Redaktion der Schülerzeitung auf der einen Seite und der Jungen Union, der Jugendorganisation der CSU andererseits im Café Bayer statt. Die Jusos als Jugendorganisation der SPD existierten zu diesem Zeitpunkt in Dinkelsbühl noch nicht, andere Jugendorganisationen der politischen Parteien sind mir im hier dargestellten Zeitraum nicht sichtbar geworden.
In diesem Frühjahr katalysierte die Entwicklung um das Fränkisch-Schwäbische Städtetheater die Situation.
Der langjährige Indendant, Klaus Schlette, bekam vom Südostbayerischen Städtetheater in Landshut ein Angebot, das er wahrnehmen wollte. Da dies mit dem Weggang eines Teils der Schauspieler verbunden sein würde, war dadurch auf den ersten Blick das Theater in seiner Existenz bedroht. Die Löhne waren so gering, dass es sehr schwer vorstellbar erschien, dass ein neuer Indendant und neue Schauspieler für dieses Theater gefunden werden konnte, auch wenn Schlette in seiner zehnjährigen Wirkungszeit die Bühne über den Landkreis hinaus bekannt gemacht hatte.
Es ist von heute aus nicht mehr eindeutig bestimmbar, ob das Theater als Ganzes in seinem Bestand bedroht war. Die Akten geben das nicht her, den Protokollen des Stadtrats nach war der Erhalt des Fränkisch-Schwäbischen Städtetheaters immer Ziel und die Bedeutung eines „eigenen“ Theaters wurde immer betont.
Andererseits berichten viele der damals in irgendeiner Form Beteiligten, dass eine „Stimmung“ gegen das Theater deutlich war. „Brauchen wir sowas?“ – „Das verschlingt Unsummen!“ – Das knapp zwei Jahre vorher eröffnete Hallenbad sei doch teuer genug gewesen, so wurde angeblich polemisiert. Ressentiments dieser Art sind nie schriftlich fixiert, deshalb historisch nicht „fassbar“, ich denke aber, es ist sehr wahrscheinlich, diese Stimmungen bei einem Teil der Bevölkerung anzunehmen. Dabei darf auch nicht aus den Augen verloren werden, dass diese Bedenken im Kern eine Ursache hatten, Dinkelsbühl hatte in den 60er Jahren finanzielle Probleme entwickelt, die durch einen Sparkurs in den Griff bekommen werden sollten. Auch bei Sympathie und Engagement für das Theater war das Geld begrenzt.
Wie im Detail die SMV (Alle Klassensprecher zusammen mit den drei Schulsprechern bilden die SMV, sozusagen die Interessensvertretung der Schülerinnen und Schüler) des Gymnasiums in Verbindung zu dieser Situation trat, ist nicht mehr genau reproduzierbar. Am wahrscheinlichsten ist, so zumindest einige Berichte ein zwei Jahre NACH den Ereignissen, dass über einen Lehrer des Gymnasiums, Herrn Hauth, der auch Leiter des Theater- und Kulturrings der Stadt war, die Idee in die SMV getragen wurde. Es gibt auch andere Sichtweisen, oft das Problem der Erinnerungen, dass es unterschiedliche gibt, die „Wahrheit“ ist nicht mehr so genau feststellbar, weil Motive und Entscheidungen einzelner oft andere Beweggründe hatten als anderer. Es mag wohl ein Gemenge verschiedener Motive gewesen sein.
So berichtete mir eine Beteiligte in einem Telefonat, für sie sei es eindeutig die „Junge Union“, vor allem die Person Michael Höhenberger, die die Demo organisiert habe.
Andere berichten, dass die Schüler aus eigener Initiative aktiv wurden, das Theater spielte schon länger eine große Rolle im kulturellen Leben der Gymnasialschüler:innen, so dass eine Veränderung hier eine Reaktion hervorrief.
Am 9. März erschien ein Aufruf der SMV in der Fränkischen Landeszeitung, der eine Demonstration zu dieser Frage ankündigte, das Theater sollte als Ziel der Aktion erhalten werden.
Im Aufruf wird sowohl die Arbeit des Theaters der letzten über 10 Jahre generell, sowie die Bedeutung der Kultur für die Gesellschaft betont. Nach einer langen Darstellung der Vorteile eines eigenen Theaters und des Abos dazu kommen die Schüler zu dem Schluss:
Am 10. März fand dann die Demonstration statt, die bis heute auf die eine oder andere Art die Erinnerungen an die 70er Jahre „füttert“. Passend organisiert der Theater- und Kulturring eine Veranstaltung unter dem Titel „55 Jahre Musenaufstand“ zu diesem Thema. Die Demonstration ist in der Zwischenzeit Teil des „Stadtgedächtnisses“.
Einige Bilder zeigen die Stimmung gut. Leider sind wenige Bilder ohne den Umweg über die Zeitung verfügbar, was zu einer nicht immer guten Bildqualität führt. Einige Bilder bekam ich von Teilnehmern privat, dabei sind die Fotografen jeweils nicht mehr ermittelbar. Ich gehe davon aus,
Die FLZ berichtet am 11. März unter dem Titel:
Am 16. März findet die erste Sitzung des Stadtrates nach der Demonstration statt. Viele Teilnehmer der Demonstration sind wohl anwesend, zumindest schreibt die FLZ in ihrem Bericht zwei Tage später: „Der Sitzung wohnten außerordentlich zahlreiche, zumeist jugendliche Zuhörer bei.“
Tagesordnungspunkt 1 der Sitzung war laut Protokoll (30/1970) das Theater. Zuerst wird eine Erklärung der CSU Fraktion verlesen. Darin steht unter anderem:
„Am 11.3. wurde auf einer Vollversammlung des Kreisjungendrings gesagt, es sei im Stadtrat eine Vorentscheidung zum Theater gefallen. Nur die Fraktion der SPD und die Stadträte Wenng und Dr. Schaudig seien dagegen gewesen.“ Diese bewusste Fälschung habe, so die CSU, zur Aktivität der Jugendlichen geführt.
Erwähnt wird im Protokoll auch, dass Bürgermeister Schenk die Versammlung darüber informiert, dass die Schüler Hansen und Maaß vor der Demonstration bei ihm gewesen seien.
Einige Tage später wird bekannt, dass in Folge der Demonstration und aufgrund der gezielten Werbung der Gymnasialschülerinnen und Schüler insgesamt 261 neue Abos gewonnen wurde.
Das Ende dieser ersten Phase der „Jugendbewegung“ in den 70er Jahren in Dinkelsbühl bildet die Gründung des Jugendclubs „Apropos“. Er wird am 15.10 beschlossen, ein Club „von Jugendlichen für Jugendliche“, wie die FLZ die Gründung protokolliert. Mehr als 20 Jugendliche, ausnahmslos Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums, sind daran beteiligt.
Motto des Clubs ist „Die Zeiten der Überlegungen und gescheiterten Pläne sind vorbei.“
„Apropos“ gibt sich ein durchaus anspruchsvolles Programm:
· Tanzveranstaltungen mit N-Cyan,
· mickey mouse filme
· Veranstaltungen zu neuer Literatur
· gemeinsames Hören von Brecht Platten
· Diskussionen, Podiumsdiskussionen mit bekannten Politikern, Wissenschaftlern, Theologen, Intendanten, Kriegsdienstverweigerern