Für diesen Teil der Betrachtung muss eine kurze Vorbemerkung formuliert werden. Die Quellenlage wird, je näher die Auflösung des Jugendrats rückt, immer unergiebiger. Sowohl die Unterlagen der Verwaltung und des Stadtrates, wie auch die Berichte in der FLZ werden spärlicher und bleiben für 1974 fast ganz aus. So gibt es zum Beispiel im Stadtarchiv weder Halbjahresberichte des zweiten, noch des dritten Jugendrates.
Dies hat meiner Vermutung nach zwei Gründe:
Zum einen wird die Frage des Jugendzentrums in diesem Zeitraum wichtiger, ein Bereich, den ich hier ausgeklammert habe. Das Jugendzentrum, die Überlegungen hin zu einem Zentrum und die provisorische Realisierung im Reingruberhaus sind Inhalt eines späteren Textes.
Zum anderen könnte es auch sein, dass die „Gründer“ des Jugendrates, nachdem sie die Institution aufgebaut haben, mit mehr noch mehr Motivation an die Arbeit gegangen sind. Die stetige Auseinandersetzung mit der „Konkurrenzorganisation“ Jugendforum fiel im ersten Jahr weg, damit konnte der JR auch öffentlickeitswirksamer tätig sein.
Dies kann aber nur Vermutung sein. Ein nicht vorhandener Aktenbestand muss nicht bedeuten, dass es nichts gegeben hätte, was aufgehoben bzw. berichtet werden sollen.. Leider bleibt hier eine Lücke in der Erinnerungskultur. Sie kann auch durch Erinnerungen nur schwer geschlossen werden. Ich habe mehrere Mitglieder des Jugendrates dieser Jahre kontaktiert. Leider erinnerte sich bisher niemand konkret an Aktionen und Vorgänge dieser Zeit. Zwischen „ach ja, stimmt, da war ich ja Mitglied“ bis hin zu „Da war ich Mitglied? Ich weiß leider gar nichts mehr davon“ reichten die Antworten. Vielleicht ergibt sich ja durch die Veröffentlichung der Texte hier ein Kontakt, der noch mehr Erinnerungen „liefern“ kann. Vielleicht ist dieser Text auch Auslöser weiterer Erinnerungen. Ich würde mich über jede Rückmeldung, auch über Bilder, sehr freuen.
Die erste große Enttäuschung für die „Aktivisten“ der Jugendbewegung war die geringe Wahlbeteiligung. 1971 hatten sich noch 243 Jugendliche an der Wahl beteiligt. Schon das war nicht der Großteil der Jugendlichen im Wahlalter. Aber der Rückgang auf nun 71 abgegebene Stimmen, das waren gerade mal 7 Prozent der Wahlberechtigten, war ein starker Dämpfer. Die im zweiten Rechtschaftsbereicht des ersten Jugendrates angesprochenen Ursachen waren wohl dafür verantwortlich.
Aber auch auf Seiten der Kandidaten war ein Einbruch feststellbar. Vorgesehen waren in der Satzung „eigentlich“ 16 Kandidaten für die Wahl zum Jugendrat. Bereit fanden sich nur 10 Jugendliche. Der Satzung nach waren daraus dann 7 ordentliche und 3 nicht-ordentiche Jugendräte zu wählen.
Der neue, zweite, Jugendrat bestand aus: Ulf Lehnig (47 Stimmen); Hildegard Gröger (45); Jürgen Ritter ( 45), Anne Grimm (39); Wolfgang Wiegner (37); Elisabeth Emmert (36) und Karin Schütz (33).
Geschäftsführender Vorstand: Hildegard Gröger, Wolfgang Wiegner, Jürgen Ritter
Als außerordentliche Mitglieder werden Helmut Görner, Gabi Weigle und Petra Weigle bestimmt.
Nach den Erfahrungen des ersten Jugendrates und der Diskussionen kurz vor der Wahl standen die Nahziele fest:
In der ersten Sitzung war deshalb auch die Aufnahme zu Kontakten zu Dinkelsbühler Vereinen Haupttagesordnungspunkt.
Diese Öffnung erscheint mir von heute aus zweierlei zu bedeuten. Einerseits war sie notwendig, die „Isolation“ auf den Kreis engagierter Gymnasialschülerinnen und -schüler sollte überwunden werden.
Andererseits war dies - von heute aus gesehen - der erste Schritt hin zum Verschwinden des Jugendrates als eigenständige Vertretung im Gesamtfeld des neue entstehenden Jugendforums, das organisierte UND nichtorganisierte Jugendliche umfassen sollte. (Dazu am Ende des Textes mehr.)
Das Jugendforum als neues Gremium wurde am 20.12.1972 im Café Bayer gegründet. In der Zeitung wird ein Vertreter der Jungen Union mit der Aufgabenstellung „es soll ein Sprachrohr der nicht-organisierten (Jugendrat) und organisierten Jugendlichen (Jugendverbände) sein“ zitiert, damit ist der Jugendrat in diesem Gremium eine Gruppierung unter vielen. Das Jahr 1973 wird in der Arbeit des Jugendrates diese Entwicklung bzw. die „Auflehnung“ gegen diese Entwicklung bestimmen.
Zu ergänzen ist noch, dass das Jugendforum auch einen Mangel der Gebietsreform ausgleichen sollte. Der Jugendreferent Forkel sah ihn als Gegengewicht zum Großkreis Ansbach, da der STADTjugendring wegen der Gebietsreform durch den KREISjugendring ersetzt worden war.
Der Jugendrat wurde vom Verlauf des Treffens im Café Bayern wohl überrascht, dies legt ein Leserbrief in der FLZ nahe, der in der zweiten Januarwoche geschrieben wurde.
Von heute ist nicht eindeutig feststellbar, wer welche Intentionen verfolgte, da die Aktenlage wenig ergiebig ist. Es erscheint mir aber schlüssig, dass der Jugendrat mit seiner Argumentation durchaus den Kern traf.
Andererseits gilt es auch zu berücksichtigen, dass der Jugendrat in weiten Teilen seiner Ziele bereits gescheitert war. Die geringe Zahl der Wähler können durchaus so interpretiert werden, dass man andere Wege der Jugendpolitik beschreiten muss, nicht weiter in die evtl. Sackgasse zu gehen.
Eine Fragestellung, die eindeutig heute, 2025, nicht zu klären ist.
Der städtische Jugendreferent nahm in einer Erwiderung am 22.1. 1973 zum Leserbrief des Jugendrats Stellung:
Am 16. Januar 1973 meldet sich Bürgermeister Schenk mit einem Statement zur Entwicklung der letzten Monate. Er ging auf die initiale Überlegung des Sommer 1971 ein: „Der Dinkelsbühler Jugendrat war nach dem Muster des Nürnberger JR gebildet worden. … Vor allem die nicht organisierten Jugendlichen und die Lehrlinge lehnen den JR in seiner Zusammensetzung ab, weil er fast ausschließlich von Gymnasialschülern gebildet wird.“ Es wird moniert, dass das extra geschaffene Büro nach einer Anfangseuphorie kaum noch genutzt werde.
Am 8. Februar fand um 17:00 eine Sitzung des Jugendausschusses des Dinkelsbühler Stadtrats statt. Es ging dabei auch um die Veranstaltungen des Jugendrates und die immer wieder damit verbundenen Probleme zur Diskussion.
Hildegard Gröger führt für den Jugendrat aus, dass zwar nach wie vor finanzielle Probleme existierten, die Gewaltprobleme aber gelöst seien, die „Schlägergruppen“ hätten sich aufgelöst.
Ein Bericht vom 16.April zeigt, dass die öffentliche Wahrnehmung des Jugendrates immer weiter zurückging. Eigentlich war geplant, den Halbjahresbericht auf einer öffentlichen Veranstaltung vorzustellen. Nachdem zu diesem Termin nur 15 Jugendliche erschienen war, wurde der Bericht gar nicht erst vorgestellt.
Aber auch das eben erst gegründete Jugendforum erfüllte die Erwartungen nicht. Einem Bericht der FLZ über die 1. Sitzung des im Frühjahr gegründeten Gremiums am 10.11.73 erschienen nur 20 interessierte Jugendlichen. Die FLZ schreibt: [ Nun]„hatte sich das Jugendforum augenscheinlich in ein Diskussionsforum gewandelt.“ Junge Union und Jusos betrachteten es wohl beiderseits als Forum, um Thesen zur Jugendpolitik und zum Jugendzentrum auszutauschen.
Im Dezember 1973 fand die dritte Wahl zum Jugendrat statt. Wahllokal war diesmal das Reingruberhaus (siehe dritter Teil der Reihe). Wahltag war der Samstag und Sonntag. Es hatten sich wieder mehr Kandidaten gefunden, der Namensverteilung nach wird deutlich, dass sich der Kreis erweitert hatte. War der erste und zweit Jugendrat noch eine Angelegenheit der „linken“ Gymnasiasten, so kamen auf der Liste für die Wahl zum dritten Jugendrat Schülerinnen und Schüler anderer Schularten und auch Vertreter anderer politische Ausrichtungen, hier der Jungen Union Dinkelsbühl, zum Zuge.
Die Wahlbeteiligung war, evtl. bedingt durch die Aufweitung des Kreises der Beteiligten, wieder angestiegen und erreichte fast die Zahl der ersten Jugendratswahl 1971. Neu war, dass diesmal bis zu 23jährige wählen durften, lt. FLZ fiel dies aber nicht ins Gewicht, da nur wenige Wähler der „neuen“ Altersgruppe entsprachen.
Folgendes Ergebnis zeigte die Auszählung:
Max Linse (111 Stimmen); Ferdinand Schineis (109); Gaby Weigle (106); Karin Schütz (96); Petra Weigle (93); Angelika Werbel (81); Rüdiger Hoffmann (79); Ulrich Fietz (79); Andreas Wenng (72); Dieter Sindel (72); Reinhold Sattler (71); Joachim Geißler (70); Rainer Beck (69) und Michael Uhl (64).
Margit Holzgarter und Thomas Kolb bekamen beide 63 Stimmen, es wurde später entschieden, dass Margit Holzgartner den Platz einnahm.
Das Ende des Jugendrates Dinkelsbühl spiegelt sich in einer dürren Aktennotiz vom 18.11.1974 wider:
„Am 14.11.74 erschienen im Rathaus Frl. Wiegner und Frl. Schütz und erklärten übereinstimmend, dass der Jugendrat in Dinkelsbühl zu bestehen aufgehört habe.
Diese Situation sei dadurch eingetreten, dass sich kein Jugendlicher zur Wahl des Jugendrates zur Verfügung gestellt hat und deshalb keine Wahl durchgefüht werden kann."
Das Ende wurde in der FLZ verkündet:
Ich möchte am Ende dieser zwei Texte, die sich mit dem Jugendrat Dinkelsbühl beschäftigen, drei kurze Thesen aufstellen. Sie stellen meine Meinung dar, darüber soll und muss sicher auch diskutiert werden.